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9. Oktober 2020

Die Corona-Pandemie hat den Finanzmarkt strukturell verändert

Die Finanzmärkte haben sich auf den ersten Blick gut von den Kursabstürzen im März erholt und stabilisiert. Dennoch hat die Corona-Pandemie bleibende Spuren hinterlassen.

Ihre Auswirkungen auf die Finanzwelt sind teilweise nicht nur kurzfristiger Natur, sondern Katalysator eines strukturellen, länger währenden Wandels. Christian Nemeth, Chief Investment Officer der Zürcher Kantonalbank Österreich AG, erklärt in seiner Analyse, wieso für Anleger unter Berücksichtigung des aktuellen Umfelds kein Weg an Investments in Aktien vorbeiführt:

Die Finanzmärkte haben, gemessen an den gängigen Indizes, die Corona-Pandemie gut überstanden und einen Großteil der Verluste aus dem März wieder aufholen können. Ein genauerer Blick zeigt aber, dass die Erholung nur von einer geringen Anzahl der Aktientitel getragen wurde. Es ist nicht verwunderlich, dass stark betroffene Branchen wie etwa Tourismus oder Luftfahrt nach wie vor unter den Beschränkungen leiden. Auf der anderen Seite profitieren vor allem Technologieaktien von dem Trend zum Home-Office und der intensiveren Nutzung digitaler Dienste während des Lockdowns und danach. Dies hat sowohl die Kurse als auch die Bewertung des Sektors durch die Decke gehen lassen, bevor es im September zu einer überfälligen Korrektur kam. Angesichts dieser Entwicklung stellt sich die Frage, ob die verschiedenen Auswirkungen der Pandemie auf die Finanzmärkte nur transitorischer Natur sind oder auch langfristig strukturell wirken. Wirtschaftlich konnte ein Teil des starken Rückgangs aus dem zweiten Quartal in den Folgemonaten wieder kompensiert werden. Doch die Nachholeffekte lassen nun spürbar nach. Die meisten Volkswirtschaften werden noch zumindest bis Ende 2022 benötigen, um die Produktionslücken wieder zu schließen. Die Auswirkungen der Krise sind also nicht nur unmittelbar, kurzfristig spürbar, sondern wirken lange nach. Auch auf dem Arbeitsmarkt zeigt sich ein ähnliches Bild. Zwar konnten über Kurzarbeit und andere Unterstützungsmaßnahmen die direkten Folgen abgefedert werden. Doch vielerorts werden nach dem Auslaufen der Programme die Arbeitslosenzahlen erneut ansteigen.

Die schwerwiegenden Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die Volkswirtschaften haben nicht nur die Politik mit ihren Maßnahmenpaketen auf den Plan gerufen. Auch bei den Notenbanken stehen die Zeichen für die nächsten Jahre strukturell auf Expansion. Dies ist am besten anhand der US-Notenbank Fed zu beobachten. Die Fed hat es als praktisch einzige der großen international bedeutenden Notenbanken geschafft, in den letzten Jahren von der Nullzinspolitik wegzukommen. Corona hat all diese Bemühungen mit einem Schlag zunichte gemacht und zu einem 180-Grad-Kurswechsel geführt. Eine baldige Abkehr von der ultra-expansiven Geldpolitik ist nicht zu erwarten, zumal aus dem letzten Sitzungsprotokoll hervorgeht, dass nur vier von 17 Fed-Mitgliedern mit einer Zinserhöhung bis Ende 2023 rechnen. Verstärkt durch die jüngst erfolgte Strategieänderung wird das Zinsniveau in den USA auf Jahre hinaus tief verankert bleiben. Vor diesem Hintergrund werden auch die anderen bedeutenden Notenbanken wie die EZB, die Bank of England oder die Bank of Japan es der Fed gleichtun und die ultra-expansive Politik ohne Zinserhöhungen fortsetzen. Dieses dauerhafte Umfeld unterstützt renditestarke Assetklassen nachhaltig und ist speziell für Aktien eine wichtige Stütze. Diese Entwicklung erklärt auch, warum Aktien trotz einer für sich allein betrachtet hohen Bewertung weiter zulegen können. Gemessen an der eigenen Historie mögen die Bewertungsrelationen für Aktien zwar hoch erscheinen, aber im Verhältnis zu Anleihen als Anlagealternative spricht der relative Vergleich stark für die Dividendenpapiere.

Inflation hat verschiedene Gesichter

Für Anleger ist es daher wichtig, auf diese längerfristigen Umwelteinflüsse zu achten und das Portfolio entsprechend strategisch auszurichten. Wer weiterhin über keine entsprechende Aktienquote verfügt, sondern weiter ausschließlich in Anleihen oder andere konservative Anlagen investiert, wird effektiv ärmer. Grund dafür ist die Vermögenspreisinflation. Schon im Rahmen der Finanzkrise im Jahr 2008 reagierten die Notenbanken stark, wenn auch nicht dermaßen expansiv. In der Folge wurde auch damals ein Anstieg der Inflation befürchtet, doch dazu kam es zumindest auf den ersten Blick nicht. 2008 gab es keinen nennenswerten Anstieg der Verbraucherpreisinflation, gemessen am Warenkorb mit den Gütern des täglichen Lebens wie Brot, Milch oder Eiern. Und auch jetzt ist kein derartiger Trend zu beobachten.

Aber damals wie heute spiegelt diese Sichtweise nur die halbe Wahrheit wider. Schaut man sich die Entwicklung der Vermögenswerte an, so kam es in den zehn Jahren nach der Finanzkrise zu einem massiven Anstieg. Eine Vermögenspreisinflation hat sehr wohl stattgefunden und dazu geführt, dass Anleger, die ausschließlich auf renditeschwache Assets gesetzt haben, deutliche Einbußen hinnehmen mussten. Anders gesprochen, kann sich ein Anleger heute nicht mehr den gleichen Korb an Aktien wie vor zehn Jahren kaufen. Er bekommt zwar die gleichen Titel, aber viel weniger Anteile, da die Kurse stark angestiegen sind. Wer nicht frühzeitig investiert und diszipliniert seiner Strategie treu geblieben ist, hat viel Ertrag liegen gelassen und ist im Vergleich ärmer geworden. Aktuell könnten wir am Beginn einer ähnlichen Entwicklung stehen. Auch wenn die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie die Wirtschaft weiterhin belasten, werden die Aktienmärkte durch die Regierungsmaßnahmen und vor allem durch die Notenbankpolitik strukturell unterstützt. Kurzfristig ist immer wieder mit Volatilitätsspitzen zu rechnen, als Anleger sollte man daher die Risiken beachten, aber dabei nicht die Chancen aus den Augen verlieren.

Zürcher Kantonalbank Österreich/sj


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